Sicherer Hafen Kreis Borken

Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Zwicker,

In Afghanistan entwickelt sich eine humanitäre und menschliche Tragödie. Ortskräfte, die vor den Über-griffen der Taliban flüchten müssen, müssen wir in Deutschland eine Perspektive bieten. Die Ortshelfer*innen in Afghanistan haben sich seit 2001 solidarisch gezeigt mit ihrer Unterstützung der deutschen Sicherheitskräfte. Nun ist es selbstverständlich, dass wir uns mit ihnen solidarisch zeigen und ihnen unbürokratisch unsere Hilfe anbieten. Im Münsterland ist hier die Stadt Münster mutig vorangegangen und hat ihre klare Bereitschaft signalisiert, zusätzliche afghanische Ortskräfte aufzunehmen, die der Notsituation in ihrem Heimatland entkommen können.

Neben der Situation in Afghanistan erreichen uns seit Jahren immer wieder Berichte von Flüchtlingen, die bei dem Versuch, an die Küsten Europas zu gelangen, auf dem Mittelmeer ihr nasses Grab finden. Der größtenteils privat organisierten Seenotrettung wird – trotz zehntausender Ertrunkener – zynisch unterstellt, sie betreibe das Geschäft krimineller Schleuser. Obwohl die Seenotrettung ein unbestrittenes Gebot der Schifffahrt darstellt, wird dieses, weil es sich bei den zu Rettenden um Flüchtlinge handelt, infrage gestellt.

Humanität und Solidarität sind in Zeiten von Corona oft benutzte Begriffe. Wir sind solidarisch mit den Menschen aus Risikogruppen und gehen beispielsweise für sie einkaufen. Wir sind froh, dass wir „Glück gehabt“ haben in der Corona-Krise bzw. den Infektionswellen und würden uns dafür gerne auf die Schulter klopfen – lassen es zugunsten der Einhaltung der Hygieneregeln aber lieber.

Was bedeuten aber „Glück haben“, Solidarität und Humanität für uns in Bezug auf Menschen, die auf der Flucht sind; 20.000 Menschen, die an den europäischen Außengrenzen in Flüchtlingslagern leben, die eigentlich nur für 3.000 Menschen Platz bieten? Diese Menschen haben einen Wasserhahn pro 1.000 Bewohner*innen. Sie haben keine Möglichkeit, Social Distancing und Abstandsregel einzuhalten.

Immer noch weigern sich eine große Anzahl europäischer Länder, aus Seenot gerettete Menschen aufzunehmen. Schon das Einlaufen in einen Hafen ist stets mit großen Konflikten verbunden. Solange kaum an den Fluchtursachen gearbeitet wird, kann es keine Lösung für diese Problematik geben. Seit der Gründung im Juni 2018 haben sich 267 Kommunen mit der SEEBRÜCKE solidarisch erklärt.

Wir wollen daher, dass sich auch der Kreis Borken bereiterklärt, eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen über den „Königsteiner Schlüssel” hinaus aufzunehmen. Die menschliche Katastrophe in Afghanis-tan wie auch im Mittelmeer darf nicht weitergehen. Daher beantragen wir, dass der Kreistag Borken – nach Vorberatung im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung sowie im Kreisausschuss – den folgenden Beschluss fasst:

Beschlussvorschlag:

1. Der Kreis Borken bekennt sich zu seiner Verantwortung, Menschen zu helfen, die durch Krieg, Verfolgung und andere Notlagen ihre Heimat verlassen haben und in Deutschland Zuflucht suchen. Er unterstützt daher die überparteiliche Initiative „Seebrücke – Schafft sichere Häfen!“ und erklärt sich selbst zum „Sicheren Hafen“.

2. Der Kreis Borken erklärt sich dazu bereit, zusätzlich zu den bisherigen Zusagen des Bundes, Menschen aufzunehmen und teilt dies den zuständigen Behörden auf Bundes- und Landesebene mit. Vor allem besonders schutzbedürftige Menschen, beispielsweise unbegleitete Kinder, Schwangere, allein-reisende Frauen, Alleinerziehende, Kranke und schwer Traumatisierte brauchen besonders unsere Hilfe und Unterstützung.

3. Der Kreis Borken als kommunaler Jugendhilfeträger setzt sich insbesondere für geflüchtete minderjährige Kinder und Jugendliche ein. Er fordert das Land Nordrhein-Westfalen und das Innenministerium der Bundesrepublik Deutschland auf, die erforderlichen rechtlichen Voraussetzungen kurzfristig zu sichern, damit Kinder und Jugendliche im Rahmen einer Kontingentlösung aufgenommen werden können. Der Kreis Borken ergreift die erforderlichen Maßnahmen, um insbesondere Kinder und Jugendliche aus den griechischen Flüchtlingslagern, insbesondere vom Flüchtlingslager Moria auf Lesbos, eine menschen-würdige Betreuung und Förderung zu gewährleisten.

4. Der Kreis Borken appelliert an die Bundesregierung, sich nachdrücklich und verstärkt für die Bekämpfung der Fluchtursachen sowie für die Rettung von schutzsuchenden Menschen einzusetzen. Zudem fordert der Kreis Borken die Bundesregierung dazu auf, unverzügliche Hilfe zu leisten und dafür zu sorgen, dass jenseits der Konsensfindung auf europäischer Ebene Menschen aus griechischen Lagern nach Deutschland evakuiert werden.

Sachdarstellung:

Nach der Machtübernahme der Taliban werden aktuell Menschen aus Afghanistan ausgeflogen. Darunter sind auch viele sogenannte Ortskräfte. Auch der Kreis Borken muss ihnen eine Perspektive bieten und seine klare Bereitschaft erklären, zusätzliche afghanische Ortskräfte aufzunehmen, die der Notsituation in ihrem Heimatland entkommen können.

Auch die Lage an der griechisch-türkischen Grenze bleibt angespannt.  Auf der türkischen Seite im Grenzgebiet harren derzeit mehr als 10.000 Menschen unter elenden Zuständen aus. In den griechischen Flüchtlingslagern, insbesondere im Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos, ist die Lage schlicht katastrophal und menschenunwürdig. Es fehlt insbesondere an medizinischer Hilfe und hygienischer Grundversorgung. Das von Europa im März zugesagte Kontingent 1600 minderjährige und unbegleitete Flüchtlinge aus Griechenland zu evakuieren ist von einer Umsetzung weit entfernt.

Mehr als 5.000 Menschen sind seit 2018 auf der Flucht im Mittelmeer ertrunken. Die Dunkelziffer ist nach Berichten neutraler Beobachter wohl noch deutlich höher. Die zivilgesellschaftliche parteiunabhängige Initiative SEEBRÜCKE protestiert bereits seit langem gegen das Sterben von Menschen im Mittelmeer und der Kriminalisierung von Seenotrettern. Seit der Gründung der SEEBRÜCKE im Juli 2018 haben sich aktuell 267 Städte, Gemeinden und Kreise zu „Sicheren Häfen“ erklärt. Sie stellen sich gegen die Abschottungspolitik Europas und leisten selbst einen Beitrag, um mehr Menschen ein sicheres Ankommen zu ermöglichen.

Angesichts der weltweiten Corona-Pandemie begreifen wir es als unsere humanitäre Pflicht, die sich zuspitzende Katastrophe in den griechischen Flüchtlingslagern abzuwenden. Ein Virus unterscheidet nicht nach Hautfarbe, Religion oder Geschlecht. Die Corona-Pandemie macht deutlich, dass wir Menschen alle auf die gleiche Weise verletzlich sind – und doch entscheiden die Lebensumstände über unsere Gefährdung. Auf der griechischen Insel Lesbos sind die Menschen der Pandemie schutzlos aus-geliefert. Schutzmaßnahmen, die auf dem europäischen Festland getroffen werden, sind dort schlicht unmöglich.

Hier dürfen wir nicht tatenlos zusehen!

Diese Entwicklung widerspricht grundsätzlich den Werten unseres Zusammenlebens in der europäischen Gemeinschaft, welche von Menschlichkeit und Unterstützung geprägt sein sollte. Dieser Antrag soll daher auch ein deutliches Signal für eine humanitäre Flüchtlingspolitik setzen. Über die Erklärung eines Beitritts zum Bündnis Sichere Häfen sollen auch konkrete Maßnahmen ergriffen werden. Mit der Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus Flüchtlingslagern und insbesondere von der Insel Lesbos soll Menschen praktisch geholfen, die europäische Partnerschaft unterstrichen sowie die europäische Idee von Mitmenschlichkeit und Solidarität sichtbar verwirklicht werden. Denn humanitäre und christliche Werte, das Völkerrecht, Seerecht und das Grundgesetz Bundesrepublik sagen eines: Es darf keine Abschreckung mit Todesfolgen geben! Menschen, deren Leben bedroht ist, müssen gerettet werden!

Mit freundlichen Grüßen

Jens Steiner
Daniela Kersting
Daniel Leuders
Monika Logermann

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