Der Landrat wird ermächtigt, den Aktienbestand des Kreises Borken an der RWE AG unverzüglich zu veräußern.
Rechtsgrundlage:
§ 26 Abs. 1 lit. k) Kreisordnung NRW
§ 3 der Richtlinien für Kapitalanlagen des Kreises Borken
Sachdarstellung:
Um die Handlungsfähigkeit des Kreises Borken über seinen RWE-Aktienbestand zu erhöhen, erteilte der Kreistag am 01.12.2016 dem Landrat die Vollmacht, den Aktienbestand des Kreises Borken an der RWE AG (318.714 Aktien) den Gesellschaftern der Vereinigung der kommunalen RWE-Aktionäre Westfalen GmbH (VKA) nach deren gesellschaftsvertraglichen Vorgaben zum Kauf anzubieten. Den Zeitpunkt sollte der Kreisausschuss festlegen. Der Kreisausschuss hatte dann am 02.03.2017 entschieden, den Aktienbestand den VkA-Gesellschaftern unverzüglich zum Kauf anzubieten (siehe Sitzungsvorlagen 0297/2016 und 0053/2017). Die gesellschaftsvertraglich vorgegebene Angebotsfrist endete am 02.05.2017. Im Anbietungsverfahren hat kein VkA-Gesellschafter Kaufinteresse geäußert. Der Kreis Borken kann daher frei über seine RWE-Aktien verfügen.
Vor dem Hintergrund der in Aussicht gestellten Dividendenzahlungen für die Jahre ab 2017 und der positiven Aktienkursentwicklung beschloss der Kreistag am 23.06.2017 bis auf weiteres seine RWE-Aktien in seinem Bestand zu halten (Sitzungsvorlage 0177/2017). Der Kreisausschuss soll sich erneut mit dem weiteren Umgang mit den RWE-Aktien befassen, sobald der Aktienkurs den aktuellen Buchwert von 15,00 Euro/Aktie unter- oder den Wert von 25,00 Euro/Aktie überschreitet. Während das Erreichen der 25,00 Euro/Aktie Marke seit dem 23.06.2017 nie ernsthaft in Reichweite war, schrammte die Aktie im Februar 2018 nur um 19 Ct. an der festgelegten Untergrenze vorbei.
Bereits Anfang September hat der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Matthias Löb, einen Verkauf von RWE-Anteilen befürwortet. Der LWL hält dabei im Vergleich zum Kreis Borken ein Vielfaches an Aktien an dem Energiekonzern in Höhe von etwa einem Prozent der Unternehmensanteile. Der Energiemarkt habe sich gravierend verändert, die Zeit der großen Kraftwerksbetreiber gehe zu Ende und die RWE-Aktien garantierten keinen Einfluss der kommunalen Familie auf das Unternehmen mehr, begründete LWL-Direktor Matthias Löb seinen Vorstoß. Auch andere Kommunen sind dabei ihre Anteile zu verkaufen. Am 02.10.2018 teilte beispielsweise der Landkreis Osnabrück mit, dass der Verkauf der 2.091.110 RWE-Aktien, die sich im Besitz des Landkreises befinden, ab sofort starten soll. Der Entscheidung ging ein einstimmiger Beschluss im Kreisausschuss voraus. Konkret soll der Verkauf in vier Tranchen über die Bühne gehen, bei denen jeweils rund 500.000 Anteile veräußert werden sollen.
Seit dem vergangen Freitag, dem 05.10.2018, ist eine weitere Zäsur eingetreten. Dieser könnte einmal als historischer Tag in die Geschichte eingehen. Als jener Tag, an dem der Kohleausstieg der Bundesrepublik Deutschland besiegelt wurde. Nicht von weitsichtigen Unternehmern. Nicht von mutigen Politikern. Von einem Gericht.
Am Vormittag um kurz vor 11 Uhr fällte das Oberverwaltungsgericht in Münster ein ebenso spektakuläres wie überraschendes Urteil. Es verbot dem RWE-Konzern, den Hambacher Forst weiter zu roden. RWE hatte den Holzschlag zuvor für alternativlos erklärt. Denn unter dem Wald liegt tonnenweise Braunkohle. Ohne die sei die Energieversorgung Nordrhein-Westfalens gefährdet, wurde RWE nicht müde zu betonen. Vielleicht sogar die von ganz Deutschland.
Das OVG glaubte RWE nicht. Der Konzern habe für diese Behauptung nicht die nötigen Beweise vorgelegt, urteilte es. RWE muss sich nun auf einen monate-, wenn nicht jahrelangen Rechtsstreit einstellen, in dem es darum geht, ob der Hambacher Wald aus Naturschutzgründen dauerhaft bestehen bleiben soll.
Der Konzern sah sich gezwungen ob des Gerichtsurteils eine Ad-hoc-Mitteilung an seine Anleger zu verschicken: Es drohe große Rechtsunsicherheit, heißt es darin, schlimmstenfalls bis Ende 2020. Von 2019 an könne es allein durch den Rodungsstopp zu einem jährlichen wirtschaftlichen Schaden von Hunderten Millionen Euro kommen. Die Anleger an der Börse reagierten verschreckt. Die RWE-Aktie verlor in der Spitze knapp 8,5 Prozent. Der Börsenwert schrumpfte an einem einzigen Tag um fast eine Milliarde Euro.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist die Faktengrundlage der am 23.06.2017 getroffenen Kreistagsentscheidung entfallen. Sowohl ökonomische wie auch ökologische Gründe sprechen nunmehr für einen unverzüglichen Verkauf der im Besitz des Kreises befindlichen RWE-Anteile.
Da sind, erstens, die Verluste, die aus dem Tagebau entstehen. Die Abbaukante des Tagebaus ist nur noch etwa 300 Meter vom Waldrand in Hambach entfernt, und der Kohleabbau schreitet laut RWE pro Jahr etwa 150 Meter voran. Die Kohlegrube hat am Rand mehrere Treppenabsätze, auf denen je ein Bagger steht. Wenn der oberste Bagger nicht mehr weiterkommt, bleiben bald auch alle darunterliegenden Bagger stehen, weil sonst die Abbruchkante zu steil wird und Erdrutsche drohen.
RWE steht vor dem Scherbenhaufen seiner Augen-zu-und-durch-Wir-machen-weiter-wie-immer-Strategie. Es droht eine Kettenreaktion von Verlusten. Ein kurzfristiger Verzicht auf den Tagebau könnte den Konzern insgesamt vier bis fünf Milliarden Euro kosten, hat Vorstandschef Rolf Martin Schmitz kürzlich in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“ gewarnt.
Noch schwerer als die verdüsterten Geschäftsaussichten dürfte eine zweite, längerfristige Entwicklung wiegen: In Berlin berät zurzeit die „Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ über das Ende der Kohleverstromung in Deutschland und die Gestaltung des damit einhergehenden Strukturwandels in den betroffenen Regionen. Aus dem Arbeitsauftrag der so genannten Kohle-Kommission ergibt sich, dass diese Maßnahmen erarbeiten soll, wie die Energiewirtschaft zur möglichst weitgehenden Erreichung des Reduktionsziels für 2020 beitragen kann. Dies ist nicht denkbar, ohne dass kurzfristig Kohlekraftwerke stillgelegt bzw. deutlich heruntergefahren werden müssen. Dies wiederum wird zu einer deutlichen Reduzierung der noch benötigten Abbaumengen im Rheinischen Revier führen. Aktuelle Studien des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und des Fraunhofer Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik kommen zu dem Ergebnis, dass sich Deutschland ab 2030 sicher und kohlefrei mit Energie versorgen könnte.
Laut einer Studie des Saarbrücker Instituts für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme könnten zwei Drittel Braunkohle, die RWE noch fördern will, einfach unter der Erde bleiben. Die Wissenschaftler berechneten, dass RWE für den Betrieb seiner Braunkohlekraftwerke nur noch etwa 700 Millionen Tonnen Braunkohle benötigt – selbst wenn die letzten RWE-Kraftwerke erst im Jahr 2040 stillgelegt werden. Das ist weniger als ein Drittel der Menge, die RWE nach dem von der NRW-Landesregierung genehmigten Rahmenbetriebsplan tatsächlich abbauen darf und will – insgesamt 2,3 Milliarden Tonnen.
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts hat auch in dieser Hinsicht Signalwirkung. Die Vorbereitungen für weiteren Kohleabbau im Hambacher Forst können vorerst nicht weitergehen. Die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission kann nun in aller Ruhe einen Plan für den Kohleausstieg entwickeln und festlegen, wie viel Kohle von RWE überhaupt noch verfeuert werden soll – ehe der Energiekonzern im Hambacher Wald vollendete Tatsachen schafft.
Ohnehin hat die Causa Hambach das Image von RWE schwer beschädigt. Nachdem RWE in den vergangenen Jahren versucht hatte seien Kurs langsam in Richtung erneuerbare Energie zu verändern und dafür mit einem Milliarden-Deal mit E.on die gesamte Ökostromsparte des bis dato größten Konkurrenten übernahm, wollte der Konzern weg vom Image des langsam sterbenden Atom- und Kohlekonzerns. Windparks und Solarkraftwerke von Spanien bis in die USA sollten RWE ein neues, modernes Image verpassen.
Etliche Anleger, Investoren und Kunden konnte RWE in dieser Phase von seinen Plänen überzeugen. Ansehen und Kurs der Aktie stiegen – bis zu dem Tag, als der Konzern verkündete, den Hambacher Forst roden zu wollen. Die geplante Abholzung des Hambacher Waldes ist zu einem Symbol für eine überholte Energiepolitik geworden, die bei einer überwältigenden Mehrheit der Menschen keine Unterstützung mehr findet. In einer aktuellen EMNID-Umfrage sprechen sich 73 Prozent für einen Kohleausstieg bis spätestens 2030 aus
Folgerichtig kam die harte Linie des Konzerns im Hambacher Forst bei den Kunden gar nicht gut an: Das Meinungsforschungsinstitut Kantar Emnid hat im Auftrag des Stromversorgers Greenpeace Energy etwa 1000 Verbraucher befragt. Gut 16 Prozent von ihnen, die bisher bei konventionellen Stromanbietern unter Vertrag waren, antworteten, dass sie angesichts der Vorgänge im Hambacher Wald „auf jeden Fall“ auf einen rein erneuerbaren Versorger umsteigen wollten. Weitere 19 Prozent gaben an, diesen Wechsel „vielleicht“ zu vollziehen.
Aus den Protesten gegen die Abholzung des Hambacher Forstes ist eine Volksbewegung geworden. Tausende kamen in den letzten Wochen jeden Sonntag in den Forst. Am Protest-Waldspaziergang beteiligten sich ganze Familien: Oma, Opa, Eltern und Kinder zeigten Flagge gegen RWE und Landesregierung. Am vergangenen Samstag, dem 06.10.2018, nahmen mehr als 50.000 Menschen an der Demonstration teil, die für den Wald und gegen die Braunkohle auf die Straße gingen.
Ökonomisch steht RWE vor einem Scherbenhaufen, ökologisch ist der Konzern vollends in der Sackgasse gelandet. Die Aussichten für den Wert der Aktie, aber auch die zu erwartenden Dividenden sind katastrophal. Das Image des Konzerns ist desaströs und vor dem Hintergrund der Herausforderungen des Klimawandels ist eine weitere Beteiligung an einem der größten CO2 Produzenten der Welt nicht länger tragbar.
Mit etwa 80 Mio. t/a CO2 (2016) entfällt mehr als die Hälfte aller energiebedingten Kohlendioxidemissionen Nordrhein-Westfalens allein auf die vier RWE-Großkraftwerke Frimmersdorf, Neurath, Niederaußem und Weisweiler. Das Kraftwerk Neurath ist mit 31,4 Mio. Jahrestonnen CO2inzwischen Deutschlands Klimakiller Nummer 1. Dazu kommen die Emissionen der Kraftwerke bzw. Fabriken Fortuna Nord, Ville/Berrenrath und Frechen.
Wer es mit dem Klimaschutz ernst meint, muss daher zuerst und v.a. auch den Anteil der Braunkohle an der Stromerzeugung verringern. Gerade jetzt besteht die Chance für eine zukunftsfähige Weichenstellung – weg von der Braunkohle, hin zu effizienten und umweltfreundlichen Energiestrukturen.
Es wird höchste Zeit, das sich der Kreis Borken von seinen Anteilen an der RWE trennt.
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