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Grüne kritisieren Erklärung der Bürgermeister*innen zur Flüchtlingssituation

Die Grünen im Kreis Borken haben die gemeinsame Erklärung der Bürgermeister*innen des Kreises Borken zur Flüchtlingssituation kritisiert. Die Städte und Gemeinden seien mit der Unterbringung und Integration von geflüchteten Menschen fraglos vor umfangreiche Aufgaben gestellt, die beispielsweise bei der Unterbringung der Menschen und der personellen und sachlichen Ausstattung von Schulen und Kindergärten große Anstrengungen erforderten, bei der die Kommunen zu Recht Unterstützung von Land und Bund einfordern. Die Erklärung enthalte neben der legitimen Einforderung von Unterstützung jedoch auch ein Sammelsurium bundespolitischer Forderungen der CDU, die in den vergangenen Monaten vielfach in den Medien zu lesen waren. „Wenn sich die Kommunen im Kreis Borken diese Positionen zu eigen machen wollen, dann setzt dies eine Befassung in den Räten und im Kreistag voraus. Dass die Bürgermeister*innen an den Räten vorbei in Teilen sehr kontroverse politische Positionen für die Region festlegen wollen, ist nicht akzeptabel,“ sagte Jens Steiner, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag. Die Migrationspolitik sei keine Aufgabe, die eine Ebene allein lösen könne. Die Grünen unterstützen die Bürgermeister*innen jedoch in ihrer Forderung, dass es endlich eine höhere und dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen geben muss. Der Bund müsse nachdrücklich daran erinnert werden, dass für die Aufgabenbewältigung auch eine faire finanzielle Kostenerstattung erfolgen müsse, sagte Steiner.

Die Grünen beklagen, dass sowohl im öffentlichen Diskurs über Schutzsuchende als auch in der Flüchtlingspolitik eine enorme Verschärfung zu beobachten sei. Dies gelte auch für die Erklärung der Bürgermeister*innen. Wer von einer „unbegrenzten Zuweisung“ spreche, schüre damit in der Bevölkerung grob fahrlässig Ängste vor einer Überlastung. Dabei habe das Ministerium für Flucht und Integration des Landes bereits Ende September mitgeteilt, dass es bis Anfang nächsten Jahres 3.000 neue Plätze schaffen wird. „Die individuelle Existenz der Schutzsuchenden als Menschen wird ignoriert,“ sagt Gertrud Welper, Kreisvorsitzende der Grünen. Stattdessen entspinne sich in der Politik ein regelrechter Überbietungswettbewerb mit restriktiven Vorschlägen. „Statt nach konstruktiven und nachhaltigen Lösungen für einen bestmöglichen Umgang mit den geflüchteten Menschen zu suchen, setzen Politiker*innen auf unverantwortliche Panikmache, populistische Slogans und Scheinlösungen.“ Mit den von den Bürgermeister*innen gewählten Begriffen wie „Wirtschaftsflüchtlinge“ wird die Notlage der Schutzsuchenden bagatellisiert und politisch Verfolgten pauschal wirtschaftliche Motive unterstellt. Dies führe dazu, dass gesellschaftliche Solidarität und Aufnahmebereitschaft drastisch sinken.

Scharf kritisierten die Grünen, dass die Bürgermeister*innen in ihrer Erklärung fälschlicherweise Pull-Faktoren das Wort reden und damit geflüchtete Menschen in ein schlechtes Licht stellen. „Leider basiert die aktuelle Debatte auf Vorurteilen und Gefühlen, kaum auf Fakten,“ ergänzt Monika Logermann, Vorsitzende der Grünen Fraktion im Rekener Rat. Die Daten der Asylagentur der Europäischen Union zeigen deutlich, dass bei den Asylanträgen in Europa die Sozialleistungen als Antragsgrund deutlich überbewertet werden und Asyl tatsächlich vor allem dort beantragt wird, wo Menschen Freunde oder Familie haben. Es ist daher ein Irrglaube anzunehmen, man könne die Standards zur Versorgung geflüchteter Menschen einfach so weit senken, dass kaum jemand mehr kommt. Auch bei einer deutlichen Senkung der Standards kämen weiterhin viele nach Deutschland, wenn es keine wirksame Fluchtursachenbekämpfung und bessere Verteilung Geflüchteter innerhalb der Europäischen Union gibt. Eine Reduzierung der Aufnahmestandards und Rechte von Asylsuchenden führt in Wahrheit zu Desintegration und zu Parallelgesellschaften und zwingt Menschen in Sozialleistungen zu bleiben. Das erzeugt deutlich mehr Kosten und verschärft Probleme, statt sie zu lösen.

Kritisch sehen die Grünen auch die Forderung der Bürgermeister*innen, Sachleistungen und Bezahlkarten bei der Versorgung der Geflüchteten einzuführen. „Flächendeckend Sachleistungen auszuhändigen, würde zu bürokratischen Mehraufwand führen und die Kommunen zusätzlich belasten, statt sie zu entlasten,“ erklärt Jens Steiner. Der Vorschlag der Bürgermeister*innen sei eine klassische Scheinlösung. Sinnvoll könnten Sachleistungen nur in Erstaufnahmeeinrichtungen ausgegeben werden, nicht aber in der Fläche. „Wer sich mit dem Thema befasst weiß, dass die Einführung in der Praxis nicht umsetzbar ist. So ist Bayern mit dem Versuch einer ‚Prepaid-Karte‘ für Geflüchtete krachend gescheitert.“ Diese sollte mit monatlichen Aufladungen in den sog. Ankerzentren eingeführt werden, um die angeblichen ‚Pull-Effekte‘ und die ‚Finanzierung von Schlepperkriminalität‘ einzudämmen. Die Karte wurde drei Monate lang erfolglos getestet, genauso wie auch ein Testlauf im Landkreis Erding abgebrochen werden musste.

„Politisch sinnvoll und erstrebenswert ist auch aus unserer Sicht eine Angleichung der Versorgung von Flüchtlingen auf europäischer Ebene,“ betont Welper. Dabei gelte es jedoch zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht frühere Leistungskürzungen für Asylbewerber*innen als verfassungswidrig erklärt hat, da sie das menschenwürdige Existenzminimum unterschritten. Es dürfe daher keinen Wettbewerb des „wer bietet weniger bei der Versorgung von Geflüchteten“ geben. Geflüchtete Menschen könnten sich viel schneller und besser integrieren, wenn sie in den Kommunen angekommen sind, da ihre Teilhabechancen dort viel höher sind, wie auch der Flüchtlingsrat NRW jüngst deutlich gemacht habe. Vor allem Familien und Kinder können in den Kommunen schnelleren Anschluss finden. Gisa Müller-Butzkamm, Vorsitzende des Integrationsausschusses der Stadt Ahaus, betont, dass dabei der Zugang zum Erlernen der Sprache sehr wichtig ist. „Allerdings ist es sei nicht so, dass es unbegrenzt Sprachkurse gibt und die Leute keine Lust haben, diese zu besuchen. Tatsächlich warten die Menschen auf Kurse, weil sie keine Plätze bekommen. In dieser Situation ‚verpflichtende Sprachkurse‘ zu fordern, ist irgendwie absurd, wenn wir den Menschen, die möchten, keine anbieten können.“ „Wir müssen jetzt schauen, dass die Menschen, die ankommen, schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt kommen können“, fordert Dietmar Eisele, Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses des Kreistags. Er habe kein Verständnis für Arbeitsverbote, wo Menschen noch drei Monate warten müssten. „Ich finde, wer hier ankommt, soll ab dem ersten Tag arbeiten dürfen. Wir haben einen massiven Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel. Laut den Wirtschaftsweisen brauchen wir ca. 100.000 Menschen im Jahr, die netto zuwandern, um hier zu arbeiten, auch um unsere Sozialversicherungssysteme zu sichern. Da ist es doch unsinnig, Menschen unnötig Hürden auf dem Weg in den Arbeitsmarkt zu bauen.“ Deswegen müsse man auch schnell den sogenannten ‚Spurwechsel‘ im Aufenthaltsrecht umsetzen.

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